
Warum werden wir rot vor Scham?
Es ist ein ganz besonderer Moment, der viele von uns eint: Man sagt etwas Peinliches, tritt ins Fettnäpfchen oder steht unerwartet im Mittelpunkt. Und dann passiert es, ohne dass wir uns dagegen wehren können: Das Gesicht beginnt zu glühen, die Ohren werden heiß – und man spürt erbarmungslos: Oje, ich werde knallrot! Doch warum eigentlich? Was genau passiert da in unserem Körper, wenn uns vor Scham die Farbe ins Gesicht schießt?
Zuerst der nüchterne Blick auf die Biologie: Das Schamgefühl entsteht im Emotionszentrum unseres Gehirns, dem limbischen System. Hierauf reagiert unser autonomes Nervensystem, das für Prozesse verantwortlich, die unabhängig von unserem Willen ablaufen. Darunter fallen zum Beispiel auch die Atmung und der Blutkreislauf. In der Stressreaktion des Schamgefühls schüttet unser Körper Adrenalin aus, das Hormon, das auch bei Angst oder Fluchtreaktionen aktiviert wird. Blutgefäße in der Haut, besonders im Gesicht, erweitern sich, das Blut schießt uns förmlich ins Gesicht – und voilà: Wir erröten.
Interessanterweise sind es vor allem die feinen Gefäße im Gesicht und Halsbereich, die besonders stark reagieren. Deshalb werden auch die Ausdrücke „rot wie eine Tomate“ oder „rote Birne“ immer wieder gerne bemüht. Doch warum gerade hier? Die Antwort ist simpel und zugleich faszinierend: Unser Gesicht ist unser emotionales Schaufenster, es ist die Bühne, auf der unsere Gefühle sichtbar werden. Freude, Trauer, Wut – und eben Scham.
Der Körper „weiß“ sozusagen, dass das Gesicht unser primäres Kommunikationsmittel ist – und nutzt es, um soziale Signale auszusenden. Charles Darwin hat das Erröten sogar als „eigentümlichste und menschlichste aller Ausdrucksformen“ bezeichnet. Es ist ein zutiefst soziales Signal. Ein sichtbares Eingeständnis: „Ups, das war jetzt peinlich. Ich weiß es auch. Ich will niemandem schaden.“
Scham – eine hochentwickelte soziale Emotion
Psychologisch betrachtet ist Scham eine hochentwickelte soziale Emotion. Sie soll verhindern, dass wir gegen soziale Regeln verstoßen oder andere Menschen verletzen. Wer sich schämt, zeigt damit: „Ich habe verstanden, dass ich gerade eine Grenze überschritten oder einen Fehler gemacht habe.“ Damit dient Scham dem friedlichen Miteinander.
Der rote Kopf ist also nicht nur eine Peinlichkeit – sondern ein Zeichen von Selbstreflexion. Und das erhöht oft paradoxerweise sogar die Sympathie. Eine Studie ergab, dass Versuchspersonen diejenigen Menschen wohlgesinnter betrachteten, die in einer unangenehmen Situation rot wurden, als jene, die keine Röte zeigten. Wir wirken menschlich, verletzlich, echt.
Doch warum fühlt sich das Rotwerden dann für einen selbst so unangenehm an? Weil Scham uns tief trifft, weil wir uns im wahrsten Sinne entblößt fühlen. Der Körper verrät, was wir eigentlich verbergen wollten: unsere Unsicherheit, unser Missgeschick, unsere innere Not. Das macht Scham so intensiv – und das Rotwerden so „entlarvend“. Das Blöde daran: Je mehr wir uns dagegen wehren, desto schlimmer wird es. Wer sich vornimmt: „Bloß nicht rot werden!“, erhöht den Druck – und wird umso röter. Ein Teufelskreis.
Die krankhafte Angst vor dem Erröten
Tatsächlich gibt es auch Menschen, die kaum oder gar nicht erröten – teils genetisch bedingt, teils durch Übung. Manche Menschen empfinden auch weniger Scham. Das kann angenehm sein – oder gefährlich, wenn jemand etwa kein Unrechtsbewusstsein zeigt. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die an Erythrophobie leiden – der krankhaften Angst vor dem Erröten. Betroffene fürchten sich so sehr davor, rot zu werden, dass sie mitunter soziale Situationen meiden. In solchen Fällen kann zum Beispiel eine Verhaltenstherapie helfen.
Fazit: So unangenehm das Erröten ist – es ist ein zutiefst menschliches, soziales und sogar sympathisches Signal. Es zeigt, dass uns etwas nicht egal ist. Dass wir dazugehören wollen. Dass wir ein Gewissen haben. Statt das Rotwerden zu verteufeln, sollten wir es vielleicht einfach als das nehmen, was es ist: Ein körpereigener Applaus dafür, dass wir soziale Wesen mit Gefühl sind. Und manchmal kann ein rotes Gesicht mehr sagen als tausend Worte – und sogar ein Lächeln beim Gegenüber hervorrufen.
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